Digitale Transformation in der Energiewirtschaft
Nichts wird in der Energiewirtschaft bleiben wie es jahrzehntelang war! Die Digitale Transformation hält auch in der Energiewirtschaft Einzug. Der Trend geht hin zur Dezentralisierung und das Geschäftsmodell wird digital!
Die vier großen Energiekonzerne in Deutschland – EnBW, E.ON, RWE und Vattenfall – waren es über Jahrzehnte gewohnt, Milliardengewinne einzufahren. Doch damit ist seit geraumer Zeit Schluss: Seit über einem Jahr werden die Chefs der großen Vier nur noch im Zusammenhang mit weitreichenden Stellenstreichungen, Stilllegungen von Kraftwerkskapazitäten und massiven Gewinnwarnungen zitiert. RWE-Chef Peter Terium sprach auf der „Handelsblatt“-Jahrestagung Energiewirtschaft im Januar 2014 von der größten Branchenkrise aller Zeiten. Die vier Energiekonzerne, einst reich und mächtig, sind nur noch Schatten ihrer selbst. Jetzt rächt sich ihre jahrelange Selbstzufriedenheit und ihre unzureichende Innovations- und Diversifikationsfähigkeit.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien hat das Geschäftsmodell der Energieversorgungsunternehmen (EVU) so stark zerpflückt, wie es kaum jemand erwartet hätte. Von dieser Entwicklung sind auch Stadtwerke betroffen, die stark in fossile Erzeugungskapazitäten investiert haben.
Rund ein Viertel des Stroms wird in Deutschland inzwischen durch Wind, Sonne und Biomasse erzeugt. Doch weil die Stromerzeugung durch konventionelle Kraftwerke nicht im selben Maß zurückgegangen ist, ist ein Überangebot entstanden, das die Börsenkurse regelrecht hat abstürzen lassen.
62 Prozent Rückgang beim Nettoergebnis meldete vor kurzem RWE. 20 Prozent Gewinnminus sind es beim Marktführer E.ON. Beide Unternehmen sind bereits fleißig dabei, ihr Tafelsilber in Form von Unternehmensbeteiligungen zu verkaufen, es drücken Schulden in Höhe von 30 Milliarden Euro. EnBW, der deutschen Nummer drei, geht es nicht besser: Durch Abschreibungen vor allem auf seine Kernkraftwerke ist das Unternehmen tief in die roten Zahlen gerutscht. Dasselbe gilt für Vattenfall, die Schweden ächzen unter hohen Rückstellungen für den Rückbau ihrer Kernkraftwerke in Deutschland. In der Branche wird bereits gemunkelt, die schwedische Muttergesellschaft Vattenfall AB wolle ihre Business- Aktivitäten hierzulande schnellstmöglich verkaufen. Wahrscheinlich wird es bei der aktuellen Marktlage sehr schwer sein, überhaupt Kaufinteressenten zu finden. Und noch schwieriger, dann einen guten Preis zu erzielen.
Solange die Politik den EVU nicht mittels eines Kapazitätenmarktes aus der Klemme hilft, wird sich die Misere für die Unternehmen sicherlich fortsetzen. Aktuell sieht es jedoch nicht danach aus, als ob die Politik den gebeutelten EVU diesen Gefallen tun würde.
Energieversorgungsunternehmen (EVU) müssen sich durch die digitale Transformation in der Energiewirtschaft komplett neu erfinden
Die Versorger müssen ganz neu anfangen und sich dabei komplett neu erfinden. Zwar stecken sie einen Großteil ihrer knapp gewordenen Investitionsmittel inzwischen in erneuerbare Energien, vor allem in Windparks. Doch das Geschäft läuft nur zäh an. Offshore-Windparks sind zudem so kapitalintensiv, dass auch die Großen sie oft nicht mehr alleine stemmen können. Doch wenn die Versorger nur kleinere Anteile in Form von Joint Ventures übernehmen oder ihre Engagements nach dem Bau der teuren Anlagen weiterverkaufen, erzielen sie natürlich deutlich weniger Gewinn.
Auch das Ausweichen in wachstumsstarke Märkte außerhalb der EU ist nicht immer von Erfolg beschieden, wie das Beispiel E.ON zeigt: Erst mussten die Düsseldorfer viele Millionen Euro für ein Engagement in Brasilien nachschießen, weil sich ihr dortiger Geschäftspartner finanziell verhoben hatte. Jetzt kommen wegen der Ukraine-Krise Sorgen um den zentralen Auslandspartner Russland hinzu. Zudem verändert sich die Welt um die Energiebranche herum dramatisch.
Die Branche und die etablierten EVU werden es sich nicht lange leisten können, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen, denn die Digitale Transformation macht auch vor der Energiewirtschaft nicht Halt. Derzeit werden eine ganzen Reihe von „Innovationsfeldern“, wie z. B. Elektromobilität, Vehicle2Grid, Smart Home, Smart Building, Smart City, Smart Grid, Smart Metering, Mikro-KWK, Demand Response Management und andere im Markt diskutiert. Welche Relevanz diese Felder in der Zukunft haben werden, kann aber heute nicht immer abgeschätzt werden.
Derzeit überlegen bereits einige Newcomer wie z. B. Google, welche Innovationen und Geschäftsmöglichkeiten sich in diesen Bereichen für sie ergeben könnten. Google hat mit dem Kauf von Nest für 3,2 Mrd. USD bereits sein Interesse signalisiert, in dem sich entwickelnden Markt für Home Automatisation kräftig mitmischen zu wollen. Etablierte EVU müssen aufpassen, dass ihnen lukrative Märkte nicht von branchenfremden Unternehmen vor der Nase weggeschnappt werden. Die Fähigkeit, innovative Ideen nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu marktfähigen Produkten und Dienstleistungen zu entwickeln und am Markt erfolgreich zu positionieren, wird mitentscheidend sein für ihren künftigen Erfolg.
Merkmale der digitalen Welt
Die digitale Welt lässt sich durch sechs Merkmale beschreiben:
- Allgegenwärtige Informationsverfügbarkeit:
Nutzer haben heute einfachen Zugang zu relevanten Informationen überall auf dem Globus.
- Soziale Virtualisierung:
Das reale und virtuelle gesellschaftliche Leben wird „eins“. Die Bereitschaft von Nutzern, ihr gesellschaftliches Leben online zu teilen, ermöglicht neue Social Networking Dienste wie Facebook und Twitter.
- Absolute Mobilität:
Nutzer haben heute jederzeit und an jedem Ort Zugang zu Netzwerken, Produkten und Diensten. Damit werden mobile Telemetriedienste ermöglicht wie etwa mobile Fernüberwachnung, Gesundheitschecks und auch Navigationsdienste im Automobilbereich.
- Permanente Erreichbarkeit:
Die dauerhafte Erreichbarkeit gestattet es, Nutzern jederzeit relevante Angebote zu offerieren. Bei Pull-Anwendungen werden von Nutzern Produkte und Dienste aktiv nachgefragt, wie z.B. Wetter- oder Stauinfodienste.
- Lokalisierung:
Nutzer können heute aufgrund der Mobilfunk-Zellen und Geo-Ortung bis auf wenige Meter genau lokalisiert werden. Diese Möglichkeit eröffnet spezifische mobile Anwendungen wie etwa Location Based Services: Über Lokalisierungsdienste miteinander verknüpfte Personen werden z.B. über den Besuch eines Restaurants informiert und können sich aufgrund dieser Meldung für einen Besuch desselben Lokals entschließen (vgl. dazu z.B. foursquare).
- Leistungsfähige Technologien:
Ohne die rapide Entwicklung bei der Leistungsfähigkeit von mobilen Endgeräten wäre die digitale Transformation nicht so schnell voran geschritten. Die Geräte, welche Nutzer heute zur Verfügung haben, sind nicht mit den Geräten von vor 5 Jahren vergleichbar hinsichtlich Rechenkapazität und intelligenten Funktionalitäten (GPS, Fingerabdrucksensoren, Lagerungssensoren, etc.). Zusätzlich bieten intelligente Analyse Tools ungeahnte Möglichkeiten, den Datenstrom, welche Nutzer produzieren, zu analysieren und die möglichen Kauftrigger und –verhalten zu antizipieren.
Die oben genannten Merkmale der Digitalisierung haben zur Entstehung einer Vielzahl von neuen digitalen Dienstleistungen beigetragen. Dieser Entstehungsprozess ist längst nicht abgeschlossen: Täglich werden zahlreiche neue Apps und Dienste angeboten. Dieses Phänomen ist nicht nur auf den privaten Bereich beschränkt. Kunden sammeln online Informationen, bevor sie sich zu einem Kauf entschließen. Nutzer veröffentlichen im Netz Berichte über Produkte und Dienstleistungen, finden Jobs in sozialen Medien oder rufen Rezensionen und Beurteilungen über ein Unternehmen ab, um dann von unterwegs einzukaufen.
Dem Trend zur Digitalisierung von Geschäftsmodellen und Services kann sich selbstverständlich auch die Energiewirtschaft nicht entziehen.
Digitale Transformation in der Energiewirtschaft: Die smarten Verteilungsnetze der Zukunft
Die Energiewirtschaft unterliegt ähnlich zur Entwicklung im Internet einem starken Trend zur Dezentralisierung und wird zunehmend digitaler. Das Energiesystem der Zukunft wird deutlich dezentraler, kleinteiliger und flexibler sein als das heutige. Die Dezentralisierung ist eine eindeutige Folge der Regulierung und starken Förderung der erneuerbaren Energien durch die Politik.
Im Rahmen der Energiewende werden zahlreiche neue, dezentrale Stromproduzenten kontinuierlich ans Netz angeschlossen, deren schwankende Produktion jedoch dringend harmonisiert werden muss. Um die Komplexität von vielen neuen und weit verstreuten Marktteilnehmern effizient managen zu können, wünscht man sich einen durch Informationssysteme unterstützten Energiemarkt, den „Smarten Markt“, auf dem Anbieter und Abnehmer effizient zusammenfinden. Dazu bedarf es leistungsfähiger Netze, die aktuell noch in erheblichem Maße ausgebaut werden müssen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.
Unter „Smart Grids“ wird eine stärkere Einbindung von Informationstechnologie verstanden, damit die Stromnetze intelligenter werden, als sie es heute sind. „Smart Grids“ können den Ausbau der Netze nicht ersetzen, aber sie können dazu beitragen, die vorhandenen Leitungen und Transformatoren so effizient wie möglich auszulasten.
Neben der Überwachung der Lastflüsse wird eine stärkere Regelung benötigt. So können intelligente Ortsnetzstationen und Spannungsregler die Spannungsschwankungen in besonders betroffenen Regionen ausgleichen und das Netz stabilisieren. Die Belastbarkeit von Freileitungen kann durch den Einsatz von Informationstechnologie und mit Hilfe von aktuellen Wetterdaten optimiert werden, da die Kühlung dieser Leitungen von Temperatur, Windgeschwindigkeit und Anströmwinkel abhängt.
Ziel der Bemühungen ist die Entstehung eines „Smarten Marktes“, der alle Stromproduzenten und Kunden effizient miteinander verbindet. Weil nicht jeder Kleinproduzent eine Börsenzulassung erhalten wird, geht man vernünftigerweise von zahlreichen automatisierten Prozessen aus, die ohne ein „Smart Grid“ und eine entsprechende Computerausstattung nicht zu bewerkstelligen sind.
Die Schnittstellen zu den Kunden werden intelligente Stromzähler (sogenannte „Smart Meter“) sein. Gegenwärtig folgt die Leistung der Stromerzeuger dem Gesamtbedarf aller Kunden. Sie zahlen einen unspezifischen Gesamtpreis, also einen Strompreis, der in jeder Stunde des Jahres konstant ist und nicht davon beeinflusst wird, was stündlich im Stromnetz und an der Strombörse im Leipzig geschieht. Dieses Prinzip ist nicht mehr zeitgemäß und soll in Zukunft durch einen zeitvariablen Marktpreis abgelöst werden. Damit sollen die heute stark schwankenden Lastflüsse durch Einführung neuer Marktmechanismen besser in Einklang gebracht werden.
Wenn beispielsweise in einer Region zu einem bestimmen Zeitpunkt viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, dann sollte der Strompreis auch entsprechend fallen. Wenn sich die Kunden hierauf einstellen könnten, würde das zu einer erhöhten Abnahme führen, die Rückspeisung in überlagerte Netzebenen würde reduziert.
Die Pläne für einen „Smarten Markt“ auf europäischer Ebene sind zwar noch nicht vollständig ausgereift. Die Branche steckt jedoch bereits mitten im größten Transformationsprojekt ihrer Geschichte. Multidirektionale Kommunikation zwischen den verschiedenen Stakeholdern in der Energiewirtschaft wird bald in Echtzeit möglich sein. Synchron zur Entwicklung in anderen Branchen sehen wir eine eindeutige Emanzipation des Stromkonsumenten zum aktiven Markteilnehmer und „Prosumer“. Wesentliche Teile der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung werden aufgrund der digitalen Transformation künftig im Internet stattfinden. Dies liegt an vier Faktoren:
- Dezentralisierung der Stromerzeugung:
Erstmals Privatpersonen in nennenswertem Maße als Stromerzeuger am Markt. Dadurch zunehmend volatile, nicht verbrauchsgerechte Erzeugung die irgendwie ausgeglichen werden muss.
- Intelligentes Zusammenschalten:
Bündelung und intelligente zentrale Steuerung von dezentralen Erzeugungseinheiten.
- Integration und Steuerung der Nachfrage:
Integration von Erzeugungs-, Speicher- und Verbrauchseinheiten in einem zentral gesteuerten Modell zur Lastgangoptimierung.
- Vollständige Emanzipation des Kunden:
Substitution zentraler Steuerungseinheiten durch Web 2.0-Anwendungen sowie Eigenbeschaffung und -vertrieb durch den Endkunden (z. B. Plattformen wie Ebay, Groupon u.a.)
Chancen für Energieversorger durch die digitale Transformation in der Energiewirtschaft
Bisher haben wir hauptsächlich von den großen Herausforderungen gesprochen, vor denen die deutschen Energieversorgungsunternehmen stehen. Jedoch gibt es nicht nur Schatten, sondern auch Licht, denn die digitale Transformation kann eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der aktuellen und künftigen Herausforderungen der Energiewirtschaft spielen. Dabei sehe ich für die EVU im Wesentlichen drei Handlungsfelder: Durch neue Geschäftsmodelle zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Durch ein verbessertes Kundenerlebnis (Digital Customer Experience) den Umsatz im bestehenden Produkt- und Serviceportfolio steigern. Durch Digital Operations die Kosten optimieren.
Neue Geschäftsmodelle für die Energiewirtschaft durch die Digitale Transformation
Mit den klassischen Geschäftsmodellen lässt sich in der Energiewirtschaft aufgrund der Energiewende immer weniger Geld verdienen. Energieversorgungsunternehmen suchen händeringend nach neuen Modellen und Produktinnovationen. Derzeit diskutiert die Branche eine ganze Reihe von Geschäftsmodellinnovationen. Auf einige dieser Geschäftsmodelle möchte ich nachfolgend mehr und weniger ausführlich eingehen.
Infrastrukturinstallation und Vertrieb
Bei diesem Geschäftsmodell geht es um die Finanzierung, die Installation und den Betrieb von dezentralen Stromerzeugungseinheiten, also Photovoltaik-Anlagen, Biomasseanlagen und KWK-Anlagen. Die Chancen für die EVU liegen in der Teilnahme am dezentralen Stromgeschäft im Allgemeinen sowie in der Chance, diese als Türöffner für den Verkauf von Wartungsdienstleistungen unter Ausnutzung der bestehenden Personalressourcen zu nutzen. Das EVU tritt gegenüber seinem Kunden als Generalunternehmer auf. Dies hat für den Kunden den Vorteil, dass das Gesamtrisiko während der risikoreichen Bautätigkeit vom EVU getragen wird. Da es bei vielen Infrastrukturprojekten oft zu signifikanten Kostensteigerungen kommt, ist das für ihn ein eindeutiger Mehrwert. EVU können ihre in Jahrzehnten gewachsene Erfahrung im Bau und im Betrieb von Kraftwerken einbringen.
Infrastrukturbetrieb (Contracting)
Gegenüber dem vorab geschilderten Geschäftsmodell geht dieses noch weiter: Zusätzlich zu Finanzierung, Installation und Betrieb von dezentralen Stromerzeugungseinheiten sind das Eigentum an den Anlagen sowie deren Instandhaltung und Wartung inkludiert. Der Charme dieses Modells liegt für die EVU zum einen in der Teilnahme am dezentralen Stromgeschäft, zum anderen im Verkauf von Strom aus erneuerbaren Energien zu hohen Festpreisen, außerdem in weiteren Einnahmen durch den Verkauf von Brennstoffen und Wartungsdienstleistungen. Der Mehrwert für den Kunden: Er benötigt kein Kapital für Investitionen und muss keine Verantwortung für die Beschaffung von Brennstoffen oder für Wartungsdienstleistungen übernehmen.
Virtueller Kraftwerkspark
Ein virtuelles Kraftwerk ist eine Zusammenschaltung von dezentralen Stromerzeugungseinheiten, wie z. B. Photovoltaikanlagen, Kleinwasserkraftwerken, Biogas-, Windenergieanlagen und Mini- bzw. Mikro-Blockheizkraftwerken zu einem Kraftwerksverbund, der entsprechend der Nachfrage elektrische Leistung bereitstellen und damit die Energielieferung aus Großkraftwerken ersetzen kann. „Virtuell“ bedeutet nicht, dass das Kraftwerk keinen Strom erzeugt, sondern dass es über mehr als einen Standort verfügt. Aufgrund ihrer Struktur mit kleinen Erzeugern können virtuelle Kraftwerke die bestehenden Netzstrukturen mit zentralen Großkraftwerken nicht vollständig ersetzen. Vielmehr eröffnet das Konzept die Möglichkeit zur Ergänzung und Optimierung der bestehenden Strukturen des Energieversorgungssystems. Für EVU, die sich entschieden haben, auch im Bereich Demand Response Management aktiv zu werden, ergeben sich hier Synergiepotenziale. Kunden haben die Möglichkeit eines zusätzlichen Cashflows durch die Vermarktung von Strom auf Regelenergiemärkten.
Demand Response Management
Die Dezentralisierung der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung hat maßgeblichen Einfluss auf aktuelle und zukünftige Geschäftsmodelle für EVU. Im Gegensatz zum heutigen Modell wird das zukünftige Energiesystem entlang der gesamten Wertschöpfungskette von dezentralen Strukturen geprägt sein. Dabei werden sich die für den Unternehmenserfolg maßgeblichen Assets und Kompetenzen verschieben. Der Wettbewerb um die zugrunde liegende Infrastruktur und die Key-Assets wird durch die forcierte Vermarktung von dezentralen Erzeugungsanlagen sowie durch den Eintritt von neuen Marktteilnehmern und Geschäftsmodellen bei Schlüsselfunktionen (z. B. Smart Grid) zunehmend intensiver werden. Dabei sind Modelle, die auf der Vermarktung einer dezentralen Erzeugungs- und Lastinfrastruktur basieren, teilweise schon heute dem traditionellen Geschäftsmodell überlegen. Das Integrierte „Demand Response Management“ ermöglicht bei vergleichbarer installierter Leistung höhere Deckungsbeiträge als die konventionelle, fossile Stromerzeugung.
Demand Response Management (DRM) ist ein intelligentes Regelungs- und Steuerungsverfahren für den Lastausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Ziel ist es, das Stromangebot und die Nachfrage besser auszubalancieren. DRM wird künftig eine zentrale Säule der Energiewende bilden und bietet damit für die EVU neue Geschäftsmöglichkeiten, wie beispielsweise die Vermarktung dezentraler Erzeugungs-, Speicher- und Lastinfrastrukturen. Demand Response Management umfasst:
- Zentrale Steuerung:
DRM ist zentral geplantes Ab- und / oder Zuschalten von dezentralen Verbrauchern und / oder Speichern auf Basis von Marktsignalen – dezentrale Steuerung durch Kunden aufgrund von Preissignalen ist nicht Teil von Demand Response Management.
- Zentrale Vermarktung:
Demand Response Kapazität wird sowohl am Spotmarkt als auch als positive oder negative Regelenergie vermarktet – Vermarktungsregeln für Regelenergie bestimmen Auswahl der DRM fähigen Verbraucher.
- Kunden:
Demand Response Management wirkt auf alle Stromverbraucher und / oder Speicher mit hoher Verfügbarkeit.
Das dezentrale Energiemanagement und seine Integration in eine intelligente Heimvernetzung bieten vielfältige wirtschaftliche und energietechnische Potenziale. Laut einer Studie von Capgemini könnten durch Demand Response Management 25 Prozent der EU-Emissionsziele zur CO2-Reduktion erreicht werden. Zusätzlich könnten über 150 mittelgroße, mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke eingespart werden. Das würde zu 50 Mrd. Euro Investitionseinsparungen bei den EVU und zu 25 Mrd. Euro niedrigeren Kosten auf der Verbraucherseite führen (Quelle: „Demand and Response: A decisive breakthrought for Europe“, Capgemini Consulting). Der Mehrwert für die EVU aus Geschäftsmodellsicht besteht in der Teilhabe an einem sich neu entwickelnden Markt zur besseren Steuerung der Nachfrageseite sowie in einem zusätzlichen Synergiepotenzial für virtuelle Kraftwerksparks.
Elektromobilität
Mehrere Megatrends haben deutliche Auswirkungen auf die Zukunft der Mobilität. Die wichtigsten sind: Wachstum, Globalisierung, Urbanisierung und Individualisierung.
Im Gegensatz zu einem beschleunigten Bevölkerungswachstum in Metropolregionen wird sich die Situation in den ländlichen Regionen kaum verändern. Folglich liegt der größte Veränderungsbedarf bei künftigen Mobilitätsangeboten vor allem im städtischen Bereich. Für Metropolregionen und Mega-Städte bedeutet dies große organisatorische Herausforderungen, um einen Verkehrskollaps zu verhindern. Zusätzlich muss massiv investiert werden, um die bestehende Infrastruktur den Mobilitätsanforderungen der Zukunft anzupassen.
Wir befinden uns in einer multipolaren Welt mit sehr unterschiedlichen Mobilitätsanforderungen: Verkehrsmittel für Massenmobilität mit relativ kurzen Distanzen in Megastädten, Verkehrsmittel für Individualmobilität mit mittleren bis langen Distanzen in ländlichen Regionen. Innerhalb der nächsten 25 Jahre werden sich voraussichtlich drei unterschiedliche Mobilitätszonen entwickeln: Städte, Vororte und ländliche Gebiete.
Städte müssen die neuen Herausforderungen mit flexiblen Lösungsangeboten, wie z. B. Elektro-Motorrädern, Doppelstockzügen im ÖPNV, Segways, etc., begegnen. Elektromobile werden in den Vororten zum dominierenden Verkehrsmittel. In ländlichen Gebieten wird aufgrund der langen Distanzen und der verstreut lebenden Bevölkerung dagegen ein differenziertes Lösungsangebot mit verschiedenen Transportmitteln benötigt. Während in diesen Regionen das Aufladen von E-Bikes und Automobilen dezentral organisiert werden muss, werden in Städten zentrale Ladestationen benötigt.
Die große Anzahl von neuen Elektromobilitätslösungen erhöht die Stromnachfrage signifikant und führt zu neuen Herausforderungen im Demand & Response-Management sowie in der IT. Als Folge der beschriebenen Entwicklungen ist die Entstehung einer neuen Wertschöpfungskette für Elektromobilität zu erwarten, in der neben den etablierten Playern neue Marktteilnehmer mit unterschiedlichen Positionen vertreten sein werden.
Vor diesem Hintergrund werden sich voraussichtlich fünf unterschiedliche Geschäftsmodelle herausbilden:
- „Stromanbieter“
- „Komplettanbieter“
- „Individueller Lösungsanbieter“
- „Elektrofahrzeughersteller“
- „Öffentlicher Lösungsanbieter“
Alle oben genannten Geschäftsmodelle verändern sich je nach Position innerhalb der Wertschöpfungskette nach Produktangebot und Wettbewerbssituation. Ich werde an dieser Stelle auf die einzelnen Geschäftsmodelle nicht weiter eingehen, da ich diese in einem gesonderten Blog-Artikel detailliert beschrieben habe: Elektromobilität: Ein neues Geschäftsmodell für Energieversorger? Den Artikel finden Sie hier.
Digitale Transformation in der Energiewirtschaft: Verbesserung des Kundenerlebnisses durch Integration digitaler Kanäle
Die hohe Akzeptanz und Verbreitung von mobilen Endgeräten und Web 2.0-Tools, wie Social Media, Kollaborations-Anwendungen, Smartphones und Tablet-Computer, verändern die Art und Weise, wie Menschen Informationen austauschen, wie sie lernen, kommunizieren und interagieren. Web 2.0 beschreibt eine Vielzahl innovativer Tools im Internet, bei denen der Nutzer durch aktive Gestaltung der Inhalte den Aufbau sozialer Netzwerke bestimmt. Dies geschieht mit dem Ziel der permanenten Vernetzung der Nutzer untereinander als auch der Verbreitung von Inhalten. Kurzum: Das „Mitmach-Web“!
EVU können heute über ein nie dagewesenes Spektrum an Schnittstellen mit dem Kunden in Kontakt treten, dabei ein nahtloses und integriertes Mehrkanal-Erlebnis anbieten und sich damit von Wettbewerbern unterscheiden. Zusätzlich ermöglicht eine Multikanal-Strategie Unternehmen eine 360-Grad-Sicht auf den Kunden und auf dessen Kauf- und Nutzerverhalten. Ziel ist es, wertvollen Input für Vertrieb, Kundenbetreuung und Kundenbindungsmaßnahmen zu gewinnen.
Mehr als 70 Prozent aller digitalen Informationen werden heute vom Konsumenten selbst erzeugt und kommen von außerhalb der Organisation. Unterstützt durch intelligente Analysetools und hohe Rechenkapazitäten bieten sich für Unternehmen ungeahnte Möglichkeiten der Datenanalyse und –auswertung, um Kundenverhalten besser zu analysieren und die Treiber bezüglich Produkten, Kaufhandlungen und Kundenabwanderungen besser zu verstehen. Diese bieten außerdem die Chance auf maßgeschneiderte, zielgruppenorientierte Angebote.
Grundvoraussetzung dafür ist es, ein überragendes und vom Wettbewerber unterscheidbares „Kunden-Erlebnis“ zu schaffen und den Kunden davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, dem Unternehmen die Treue zu halten. Denn nichts ist so flüchtig wie der digitale Kunde, das nächste Angebot vom Wettbewerb ist bekanntlich nur einen Klick weit entfernt. Zudem differenzieren Kunden nicht mehr zwischen der Online- und der Offline-Welt. Im Gegenteil: Sie erwarten ein kanalübergreifendes Leistungsangebot und Kundenerlebnis. Im Zeitalter der Digitalisierung wollen sie selbst entscheiden, wann und wie sie mit einem Unternehmen in Kontakt treten und wie sie die Waren und Dienstleistungen erwerben möchten.
Kunden erwarten heute Transparenz beim Leistungsangebot. Sie informieren sich umfassend über Produkte und Services. Dabei müssen Angebot und Informationen nicht nur online wie offline inhaltlich identisch verfügbar sein, es wird ebenso eine einfache Bedienbarkeit vorausgesetzt. Je unkomplizierter der Prozess ist, desto größer ist die Kaufwahrscheinlichkeit bzw. die Chance, dass sich Kunden positiv in sozialen Netzwerken über das Unternehmen und seine Produkte und Services äußern.
Für Unternehmen ist es deshalb nicht ausreichend, sich auf die reine Optimierung der Online-Kanäle zu fokussieren. Relevant ist das gesamte Kundenerlebnis in ALLEN Kommunikations- und Vertriebskanälen. Dies muss deshalb durch einen ganzheitlichen Kundenerlebnis-Design-Ansatz entsprechend berücksichtigt werden. Wer sich ausführlicher über die Möglichkeiten von Social Media in der digitalen Marktbearbeitung informieren möchte, dem empfehle ich den Blog-Artikel „Social Media: Den Kunden genau kennen lernen, eine emotionale Beziehung aufbauen und ihn langfristig binden“. Den Artikel finden Sie hier.
Digitale Transformation in der Energiewirtschaft: Kostenoptimierung durch Digital Operations
Die Digitale Transformation ermöglicht durch neue Technologien eine Absenkung der Betriebskosten im Service und im Netz. So helfen Smart Meter Energieversorgungsunternehmen z. B. Zählerstände aus der Ferne abzulesen. Ziel ist es, Stromangebot und -nachfrage besser zu überwachen und die entsprechenden Netze effizienter zu steuern. Zudem entfällt der aufwendige und anachronistische Ablesedienst vor Ort. Aufgaben und Arbeitsabläufe in der Verwaltung mit geringer Wertschöpfung können automatisiert werden und ermöglichen dadurch eine Reallokation der frei werdenden Mitarbeiter zu Tätigkeiten mit einer höheren Wertschöpfung. Weitere Ansätze zu Kostenreduktion und Effizienzsteigerung im Betrieb sind z. B.:
- Konzentration von Kompetenzen und Auslagerung von non-core Aktivitäten, z.B. in Shared Service Centers
- Dezentralisierung und Nutzung von Best-breed Ansätzen
- Enge Verzahnung von Business und IT durch Business/IT Alignment
- Modularisierung und Flexibilisierung durch Cloud Computing
- Standardisierte Prozesse und Plattformen durch z.B. Customer Interaction Hubs
Möglichkeiten zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung ergeben sich auch im Kundenservice. Durch eine geschickte Nutzung digitaler Kanäle kann ein großer Teil der Kundenanfragen automatisiert und damit kostengünstig bearbeitet werden: Die durchschnittlichen Kosten je Fallbearbeitung liegen im Call Center bei 4,20 Euro, im Self-Service-Portal dagegen nur bei 7 Cent (Quelle: Forrester). Selbst der E-Mail-Kanal ist mit 1,75 Euro pro Kontakt wesentlich günstiger als der klassische Telefonkanal. Von den Kostenvorteilen bei virtuellen Agenten, automatischen Sprachansagen und IVR will ich hier erst gar nicht anfangen (siehe auch: Aktives Forderungsmanagement für effiziente Kundenbindung). Diverse Studien weisen zudem darauf hin, dass der Kunde sehr wohl bereit ist, sich erst einmal im Self-Service-Kanal selbst zu bedienen bzw. zu helfen. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, möchten viele Kunden persönlich mit einem Mitarbeiter des Unternehmens sprechen.
Fazit
Vor dem Hintergrund der Energiewende in Deutschland und durch das Wegbrechen der aktuellen Geschäftsmodelle rächt sich die jahrelange Selbstzufriedenheit und unzureichende Innovations- und Diversifikationsfähigkeit von vielen Energieversorgungsunternehmen (EVU). Die Energiewirtschaft unterliegt ähnlich zur Entwicklung im Internet einem starken Trend zur Dezentralisierung und wird zunehmend digitaler. Das Energiesystem der Zukunft wird deutlich dezentraler, kleinteiliger und flexibler sein als das heutige. Darauf sind die traditionellen Geschäftsmodelle von Energieversorgungsunternehmen jedoch nicht ausgerichtet. Die Versorger müssen also ganz neu anfangen und sich dabei komplett neu erfinden. Zusätzlich stehen mächtige Herausforderer aus anderen Branchen vor der Tür, um Anteile in den sich neu entwickelnden Märkten, wie z. B. Elektromobilität, Smart Home, Smart Building, Smart City, Smart Grid, Smart Metering u. a., zu erobern. Die EVU müssen aufpassen, dass ihnen lukrative Zukunftsthemen mit energiewirtschaftlichem Bezug nicht von branchenfremden Unternehmen vor der Nase weggeschnappt werden. EVU sollten die Chancen der digitalen Transformation nutzen, schnellstmöglich neue digitale Geschäftsmodelle und damit zusätzliche Einnahmequellen identifizieren, das Kundenerlebnis durch pfiffige Integration der digitalen Kanäle verbessern, dadurch die Kundenbindung erhöhen und den Betrieb zur Effizienzsteigerung digitalisieren.
Weiterführende Links
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Elektromobilität: Ein neues Geschäftsmodell für Energieversorger?
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Unsere Positionierung und Leitbild: “Mastering the Digital Age!” Wir sind eine integrierte Management- und Technologieberatungsgruppe und bieten integriert die Konzeption und Umsetzung von ganzheitlichen Digitalisierungslösungen an. In dieser Kombination ermöglichen echte Vordenker strategische Beratung bei der Digitalisierung eines Unternehmens. Dies passiert mit tiefgreifenden methodischen Kenntnissen, fundierter Transformationserfahrung und einem hohen Maß an technologischem Verständnis sowie tiefer Expertise in der Wertgenerierung aus Daten. Das „neue Gold des 21. Jahrhunderts“ kann durch modernste künstlicher Intelligenz (KI) und Cloud-Computing-Technologien gewonnen werden. Dies alles End2End aus einer Hand über den ganzen Transformationsprozess. Mehr über uns erfahren Sie hier.
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Marc R. Esser
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